Wildtierstation überfüllt! HTV bittet, Jungtiere nicht vorschnell einzusammeln

Der Hamburger Tierschutzverein von 1841 e.V. (HTV) bittet eindringlich darum, hilfebedürftig wirkende Jungtiere nicht voreilig einzusammeln und im Tierheim Süderstraße abzugeben, denn die Aufzuchtstation ist überfüllt. Die Hamburger*innen sollen erst abwarten, ob sich die Eltern der Jungtiere doch noch zeigen! Zum Beispiel hüpfen Vögel derzeit oftmals am Boden herum, weil sie noch nicht gut fliegen können. Tauchen die Eltern auf, sollten Menschen sich rasch entfernen und später nochmal nachschauen, ob das Tier versorgt wurde. Wer unsicher ist, ob ein Wildtier wirklich hilfebedürftig ist, kann sich während der Öffnungszeiten des Tierheims unter 040-21 11 06-0 beraten lassen. Sollte ein herrenloses Tier jedoch offensichtlich schwer verletzt sein, muss es uns schnellstmöglich gebracht werden – ist das nicht möglich, bitte unseren Notruf 040-22 22 77 wählen. Wurde das Tier außerhalb Hamburgs gefunden, müssen sich die Finder*innen an die dortigen Behörden oder den örtlichen Tierschutz wenden. Wer den Tieren grundsätzlich etwas Gutes tun möchte, sollte bei der momentanen Hitze flache Wasserschalen rausstellen und täglich reinigen.

Janet Bernhardt, 1. Vorsitzende des HTV, ist alarmiert: „Momentan ist die Lage sehr angespannt und unsere Station erreicht ihr Kapazitätsmaximum, wodurch unsere Wildtierpflegerinnen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen und im nächsten Schritt das Überleben der Jungtiere gefährdet wäre.“ Ein Aufnahmestopp als Ultima Ratio stünde dann bevor. Daher versucht der HTV, so viele Jungtiere, wie möglich, in geprüfte Pflegestelle zu geben. „Auch ich habe wieder Jungtiere zuhause, wie jedes Jahr, die ich mit Unterstützung großziehe und auf die Wildnis vorbereite – momentan 18 Eichhörnchen, neun Wildkaninchen und zwei Buntspechte“, fügt die 1. Vorsitzende hinzu.

Der Nachwuchs von Wildtieren in Städten wird häufig irrtümlich als hilfebedürftig eingeschätzt. Noch ungeschickte Kaninchen- und Eichhörnchenkinder verlassen ihren Bau oder Kobel, sobald sich ihr Fell ausgebildet hat. Ihre Mütter sind derweil auf Nahrungssuche oder haben sich in der Nähe vor dem Menschen versteckt. Die Küken der Singvögel wie Amseln, Krähen und Elstern starten mit ausgebildetem Federkleid ihre ersten Flugversuche in Bodennähe. Dabei lassen die Eltern ihren Nachwuchs aber keinesfalls aus den Augen und versorgen ihn auch weiterhin mit Futter – wenn der Mensch sie nicht durch seine furchteinflößende Anwesenheit davon abhält.

Wann braucht ein Jungtier Hilfe?

Um herauszufinden, ob ein Jungtier verwaist ist, muss es (je nach Art und Alter) bis zu einige Stunden aus der Entfernung unauffällig beobachtet werden. In der Regel findet das Junge wieder zur Mutter – oder umgekehrt. „Wir schätzen, dass mehr als die Hälfte der zu uns gebrachten Jungtiere keine menschliche Hilfe benötigten, sondern von ihren ungesehenen Elterntieren weiter versorgt worden wären“, erläutert Janet Bernhardt. Schon befiederte Jungvögel, die noch nicht richtig fliegen können und am Straßenrand herumhüpfen, darf man zudem vorsichtig an einen sicheren Ort, wie ein abseits der Straße gelegenes Gebüsch, umsetzen. Dabei ist darauf zu achten, dass der Jungvogel in direkter Nähe zum Fundort bleibt. „Vögel können schlecht riechen, sodass sie den vermeintlich störenden menschlichen Geruch am Nachwuchs gar nicht wahrnehmen und diesen schon daher nicht verstoßen“, erklärt Bernhardt. Sie führt aus: „Wenn die Küken allerdings noch nackt sind, muss unbedingt das richtige schützende Nest gefunden werden, in welches sie behutsam zurückzusetzen sind. Wenn dieses nicht vom Boden aus zu erreichen ist, darf natürlich nicht die eigene Sicherheit vergessen werden.“ Auch bei den Säugetieren, die sich dem städtischen Lebensraum angepasst haben, ist der omnipräsente menschliche Geruch für die Elterntiere kein Grund sich von ihrem Nachwuchs abzuwenden. „Selbst Rehkitze oder Hasen, besonders oft voreilig eingesammelt, da sie von ihren Eltern ohne eine schützende Unterkunft abgelegt werden, können sogar noch bis zu 48 Stunden nach Inobhutnahme an den Fundort zurückgebracht werden.“

Vor dem Eingreifen fachkundigen Rat einholen

Ist ein Jungtier eindeutig verwaist oder in einer medizinischen Notlage, ist rasche Hilfe natürlich notwendig und richtig. Allerdings sollten sich keinesfalls Laien daran versuchen, ein Tierkind aufzupäppeln oder ein offensichtlich krankes oder verletztes Tier zu pflegen. In der Wildtierstation im Tierheim Süderstraße kümmern sich die Mitarbeiter*innen des HTV rund um die Uhr um verletzte und verwaiste Wildtiere. Sie ziehen die Tiere fachkundig auf und sorgen für eine erfolgreiche Auswilderung. Um auch in Krisenzeiten eine lebensrettende Tierkinderstube zu bieten, wird das saisonale Personal für die Wildtieraufzucht aufgestockt. Damit liegt die Zahl der Beschäftigten dieses Bereichs deutlich höher als im Winter. Dabei finden die HTV-Mitarbeiter*innen Unterstützung von einem Stab ehrenamtlicher Ersatzeltern. Da in diesem Bereich der Tierpflege ohnehin hohe Hygienestandards gelten, hat sich die Arbeit unter Pandemie-Bedingungen nicht wesentlich geändert.

In der Wildtieraufzuchtstation des Hamburger Tierschutzvereins werden aktuell 141 junge Wildtiere liebevoll und versiert großgezogen, darunter 49 Singvögel, 25 Eichhörnchen und 13 Wildkaninchen (Stand: 15. Juni 2021). Viele weitere Tiere befinden sich in Pflegestellen des Vereins. Sie alle werden, wenn sie alt genug und selbstständig sind, wieder ausgewildert – oft in Kooperation mit dem Wildtier- und Artenschutzzentrum gGmbH. Zudem befinden sich 15 Stadttauben, verwilderte Haustiere, zur Handaufzucht in unserer Obhut: Diese standorttreuen Tiere ziehen, sobald sie flügge sind, in unseren Taubenhort auf dem Tierheimgelände. Für diese Arbeit erhält der Verein kein Geld aus öffentlicher Hand, er ist daher dringend auf Spenden angewiesen.